Ratlosigkeit

Da ist das Wort, welches unser Lebensgefühl erfasst. Es zeigt in all seiner Schönheit den Wesenskern eines Zustands, den man nicht versteht, den man nicht los wird. Der an einem hängt obwohl man ihn immer wieder versucht aufzugeben. Aktivität erlaubt es die Ratlosigkeit zu vergessen. Zu Verdrängen. Aber sie besteht, denn es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Uns ist der Kern abhanden gekommen, der dem menschlichen Leben ein Rhythmus gab. Geblieben ist eine tief sitzende Ohnmacht, denn keines der Versprechen, die wir kannten, existiert noch in der Welt.

Demnach müssen wir uns mit dem begnügen was die Welt uns zu geben vermag. Und dies ist nicht falsch zu verstehen. Nie lebte es sich bequemer. Nie länger und sorgloser was die lebenserhaltenden Dinge angeht. Sei es Nahrung oder Medizin. Wohnung oder Sicherheit. Nein, es ging uns nie besser als heute, aber in dieser besten aller bisher durchlebten Welten existiert eine Leerstelle.

Dabei kennen wir die Versprechen dieser Moderne, dieser vielen Möglichkeiten, diesem Potenzial der Selbstverwirklichung, welches stets uns lockt und winkt. Und damit uns niederstößt in die Qualen des Konjunktivs. Des es hätte sein können, wenn du nur gewollt hättest. Und so bleiben wir in unserer Ratlosigkeit stecken. Den wem sowohl Rat als auch Orientierung fehlen, und dies tun sie nunmal gleichermaßen, dem bleibt nur das Verharren im Jetzt. Und das Warten auf ein Morgen an dem das Jetzt nicht mehr sein kann. Dann ist es vorbei. Das Leben.

Genauso wie man sich dessen bewusst wird, genauso wie man diese Lethargie in jeder Faser seines eigenen Körpers spürt, genauso existiert eine Gegenkraft in einem jeden von uns. Und so wie nur ein Stab aus Eisen die Kraft eines Magnetfeldes erfahrbar macht, genauso ist es dieser Urtrieb im Menschen, der sich an dieser Ratlosigkeit reibt. Der sich widersetzt. Und der am Ende es nicht so lange zu warten vermag bis es zu spät ist. Der Funke der uns bewegt. Der diese Unruhe erzeugt, die zu allerletzt in Leben mündet. Dies ist der Schimmer an Hoffnung der uns leben lässt.

Ein Hoch auf das Menschsein, in all seiner verworrenen Schönheit.

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